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Batja feiert nach 82 Jahren erstmalig wieder Rosh Ha-Schana in einer jüdischen Gemeinde in Deutschland – mit uns!

Um die hohen Jüdischen Feiertage in den Corona-Zeiten gebührend zu feiern, mussten wir erfinderisch sein.

Gesundheit hat für unsere Gemeinde natürlich die oberste Priorität. Dennoch wollten wir die wichtigen jüdischen Feiertage Rosch ha-Schana und Yom Kippur nach Möglichkeit zusammen erleben und die Stadt Wiesbaden sowie unsere Region, in der einst sehr viele Progressive Juden lebten, an diese Feiertage erinnern. Deshalb haben wir ein sehr sicheres Hygiene- und Infektionsschutzkonzept ausgearbeitet, wie man diese Tage gestalten kann.

Wir haben uns entschieden, Rosch ha-Schana im Freien in den Taunusbergen zu feiern, um das Einhalten der Abstandsregeln zu ermöglichen und nicht in einem Raum einander zu gefährden. Die Verwaltung der Gemeinde Hohenstein hat uns bei der Organisation sehr unterstützt.

Wir feierten das jüdische Neujahrsfest mit einem festlichen Gemeinschaftsessen. Einer der bekanntesten progressiven Rabbiner Deutschlands, Dr. Walter Rothschild aus Berlin, gestaltete unser Fest. 75 Gemeindemitglieder und Gäste feierten den Anfang des Jüdischen Jahres 5781 zusammen. Viele Gäste aus der Politik haben das Wiederentstehen unserer Progressiven Jüdischen Gemeinde in der Region mit eindrucksvollen und warmen Ansprachen sehr begrüßt.

Der wichtigste Gast des Abends kam zu uns aus Israel. Batja Schutz (damals Berti Bukspan) wurde 1929 in Frankfurt am Main geboren und 1938 von den Nazis direkt aus der Frankfurter Grundschule an die polnische Grenze deportiert. Von dort aus flüchtete sie mit ihrer Familie nach Israel. Batja und ihre Familie wurden in Israel Mitglieder einer Progressiven Jüdischen Gemeinde. Zum ersten Mal seit 82 Jahren feierte Batja Rosch ha-Schana in einer Jüdischen Gemeinde in Deutschland wieder. Batjas Geschichte war für alle sehr ergreifend und rührend. Es ist eine große Ehre für uns, dass sie unserer Gemeinde ihr Vertrauen schenkte und mit uns feierte.

Batja war unser wichtigster Gast

Rabbi Dr. Rothschild machte eine kurze Havdalah (eine Zeremonie am Ende des Schabbaths) und sagte dann den Segen über Brot und Wein. Die Brote für das Jüdische Neujahrsfest sind nicht wie sonst länglich, sondern es ist üblich, runde Weißbrote zu verwenden, um auf diese Weise den Jahreskreislauf zu symbolisieren. Außerdem hatten die Gäste an ihren Plätzen Äpfel und Honig sowie Granatäpfel, die traditionellen Symbole, die den Wunsch nach einem süßen und fruchtbaren neuen Jahr darstellen.

Die junge, sehr talentierte Geigerin Alina Gelfond, die Mitglied unserer Gemeinde ist, spielte sehr gefühlvoll jüdische Lieder. Ihr Anblick vor dem Bild der Reformsynagoge am Michelsberg, das unser Fördermitglied, die Wiesbadener Künstlerin Anna Conrad, als Wahrzeichen unserer Progressiven Jüdischen Gemeinde gezeichnet hat, und die herzbewegende Musik haben viele älteren Mitglieder der Gemeinde zu Tränen gerührt. Das waren die Tränen der Erinnerung, aber auch der Freude, dass das Progressive Judentum dieser Region wieder glückliche Zeiten erlebt.

Das Highlight des Abends war das Kabarett-Programm von Rabbi Rothschild, in dem er über sein Leben als Jude in England und als Rabbiner in Deutschland erzählte und dazu „Leider“ sang. Es wurde sehr viel gelacht. Auch wenn man ständig an den durch die Corona-Gefahr nötigen Abstand denken musste, hatten alle sehr viel Spaß miteinander und genossen das Fest.

Genau das ist eins der wichtigsten Ziele unserer Progressiven Jüdischen Gemeinde: Unsere Feste und Traditionen fröhlich und offen zu feiern, über uns selbst und die Welt zu lachen (was typisch jüdisch ist), glückliche Zeiten zu gestalten und aus der Opferrolle herauszukommen. Das ist der größte Sieg über die Zeit, wieder da anzufangen, wo es 1933 leider aufgehört hat. Wir Juden benutzen den Begriff Holocaust (in Übersetzung „völlig verbrannt“) nicht, wir bezeichnen diese Zeit als Schoah (in Übersetzung „eine Katastrophe“). Ja, es war eine von Menschen gemachte Katastrophe, aber wir sind wieder da! Bis heute beweinen wir unsere Familienmitglieder, die damals ermordet wurden, aber wir können wieder lachen (auch für sie und in deren Namen).

Wir leben in Deutschland und das ist richtig so. Unsere Kinder sind deutsche Juden. Das ist doch ein Riesenerfolg, dass dieses Land und wir, Juden, die voller Vertrauen wieder nach Deutschland gekommen sind, zusammen erreicht haben. Wir schauen sehr positiv in die Zukunft! Wir feiern unsere Feste sehr gerne mit allen, die sich dafür interessieren!

Einer der Gäste hat uns folgende Rückmeldung über das Fest zukommen lassen: „An diesem Abend konnte ich erstmals von der Stimmung aufnehmen, wie eine jüdische Gemeinde einen Festtag begeht. Das hatte ich bisher in dieser Form nicht erlebt. Das ist eben der familiäre Zusammenhalt, den ich so persönlich nie kennengelernt habe.“

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